(4-2001) Umzug nach Leipzig

Im August zog ich also nach Leipzig. Meine Mutter hatte sich für mich um ein Zimmer in einem ökumenischen Gästehaus gekümmert.
Es war ein Doppelzimmer. Dort wohnte ich zunächst mit einem Mädchen in meinem Alter. Nach einem Monat allerdings zog sie aus und ich hatte meine gewünschte Privatsphäre.
Auf unserer Etage wohnten weitere junge Frauen, die Küche und das Bad wurden von allen genutzt.
Bei meinem Ankommen war ich total überfordert. An diese neue Wohnsituation musste ich mich erst einmal gewöhnen, denn ich hatte vorher keinerlei Vorstellungen davon gehabt.
Ich fühlte mich ausgesprochen depressiv. Meine Gedanken drehten sich ausschließlich um negative Dinge. Rein gar nichts konnte meine traurige Stimmung aufhellen.
Vor dem ersten Kennenlernen der anderen Auszubildenden verspürte ich große Angst.
Wir trafen im Rathaus aufeinander. Ich erfuhr welche Einsatzstellen ich im ersten Ausbildungsjahr durchlaufen würde. Das erste halbe Jahr führte mein Weg in das Klinikum „St. Georg“ in das HNO Chefarztsekretariat. Eine vehemente Unsicherheit, Befangenheit und ein Ohnmachtsgefühl machten sich breit. Ich hatte mich ganz klar übernommen.
Wie sollte ich dem großen Anspruch an die Ausbildung gerecht werden, wo ich doch
überall Probleme sah.
Es fiel mir sehr schwer den Alltag zu strukturieren, oftmals saß ich auf meinem Stuhl und starrte die Raufasertapete an. Ich konnte nichts mit mir anfangen.
Es herrschte das blanke Chaos in meinem Kopf.
Meine Gedanken drehten sich immer wieder um dieselben Themen, die ich regelrecht zerdachte.
Die Grübelei arbeitete stets auf Hochtouren und das strengte mich stark an und die Schwermut nahm zu.
Wie sehr hätte ich deshalb wenigstens geruhsame Nächte gebraucht, aber das war nicht der Fall. Meist lag ich viele Stunden wach und kam auch in der Nacht nicht zur Ruhe.
Nach den Einführungstagen im Rathaus stand mein erster Arbeitstag im Sekretariat an.
Ich musste um 5h aufstehen und mit der Straßenbahn dahin fahren.
Die Chefsekretärin führte mich in den Büroablauf ein. Ich hatte das Gefühl mir nichts merken zu können. Ich konnte mich nicht auf das Wesentliche konzentrieren und sah nur unüberwindbare Hürden.
Meine Aufgaben waren u.a. das Schreiben von OP Berichten und Epikrisen mittels Phonodiktat, somit musste ich das HNO Latein erlernen.
Der jeweilige Arzt las sich den Bericht noch einmal durch um eventuelle Fehler anzumerken.
Manchmal musste ich die Berichte sogar zweimal korrigieren.
Meine Chefin blieb verständnisvoll und erklärte mir die verschiedenen Sachverhalte immer wieder. In der Woche gab es zwei Schultage. Schnell fand ich Vertrauen zu einer Schülerin.
Ich erzählte ihr viel von meinen Ängsten und Bedenken, wirklich erfasst hatte sie meine Lage wohl nicht. Ich klammerte mich an sie, mit ihr redete ich offen.
Dem Unterricht konnte ich relativ gut folgen. Das Schreiben auf der Schreibmaschine lag mir besonders.
Ich schlug mich tatsächlich bis zum Ende der Probezeit durch, denn ich hatte eine gute Beurteilung für mein Praktikum bekommen.
Wie oft dachte ich, die Probezeit niemals bestehen zu können. Aufbauen ließ ich mich dadurch leider noch immer nicht. Die Depression blieb.
Jedes Wochenende fuhr ich mit dem Zug nach Hause. Meiner Familie gegenüber fühlte ich mich als Versagerin. Ich bewertete meine Leistungen viel zu schlecht und die Erfolge spielte ich herunter.
Mein Vater begleitete mich damals zu einer Psychologin. Als wir erfuhren, dass sie keine Medikamente verschreibt verließen wir die Praxis. Einen weiteren Versuch gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.
Ich wünschte mir so sehr einen Stimmungsauftrieb zu erlangen.
Und das sollte im Dezember mit dem Beginn der Weihnachtsferien passieren, womit ich keinesfalls rechnete.
Es geschah plötzlich und es entstand langsam ein wohliges und friedliches Gefühl in mir.
Das Grübeln hörte auf und ich konnte positive Gedanken fassen.
Ich schätzte auf einmal das was ich in Schule und Praktikum geschafft hatte.
Schnell steigerte sich mein Selbstbewusstsein ins Unermessliche.
Ich fühlte mich besonders klug und allem und jedem gewachsen. Ich hatte einen krankhaften Rededrang, meine Wortwahl war mitunter ordinär und das Tempo enorm schnell.
Mit Kritik konnte ich überhaupt nicht umgehen und reagierte gereizt.
Ich hatte wieder mehr Appetit und großes Interesse daran mir schöne Kleidung zu kaufen.
In den letzten Monaten gab ich kaum Geld aus und aß sehr wenig.
Kurz vor dem Weihnachtsfest besuchten meine ehemalige Mitschülerin, aus Freiberg, und ich ein Konzert in Chemnitz. Eine Band aus der „Gothic Subkultur“ trat auf und anschließend wurde getanzt.
Mein Vater holte uns schließlich ab.
Aufgrund dieser Veranstaltung steigerte sich die Manie, ab jetzt lief alles komplett aus dem Ruder.
Am nächsten Tag war es dann soweit, ich hyperventilierte und meine Eltern riefen den Notarzt. Ich wurde in die Psychiatrie nach Chemnitz eingeliefert.

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